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Ein kleiner Leitfaden zu einer belegnahen Darstellung – Teil 1

Heute schreibe ich einmal etwas über mein Hobby.

Vor einigen Jahren infizierte ich mich mit einem absolut ansteckenden Virus, das seine Opfer dauerhaft verändert und nie wieder los lässt. Nämlich das Mittelaltervirus. Mich befiel es vor sechs Jahren und mittlerweile muss ich einen schweren Verlauf konstatieren.

Nach den ersten zaghaften Anfängen mit den üblichen (teuren) Anfängerfehlern, darunter den die Darstellung von jemanden kopieren der optisch zwar gut aussah aber mehr in einen Historienfilm passte, geriet ich an einen hochklassigen Darsteller, der mir nur eine einzige Frage stellte. "Willst du ein bisschen Spaß in ambientiger Klamotte auf dem Markt oder möchtest Du tatsächlich so aussehen wie die Menschen vor hunderten von Jahren?".

Für mich war der Kerngedanke der Frage erst nach ungefähr einem Jahr ersichtlich. Ich beantwortete sie danach für mich mit dem Letzteren. Ja, ich wollte ein belegnah arbeitender Darsteller werden. Mit der passenden Kleidung, mit der zeitgenössischen persönlichen Ausstattung.

In den folgenden fünf  Jahren versuchte ich mich an einigen Darstellungen, verwarf einige, behielt andere, recherchierte zu den Verbliebenen sehr viel, erwarb Fachliteratur und lernte tatsächlich sogar Nähen. Nicht nur mit der verpöhnten Maschine, sondern mit Hand. Das ist einfacher als gedacht wenn genug Stecknadeln vorhanden sind. 😀

Das Aufbauen einer Darstellung wurde zumindest für mich ein stetiger Prozess in dem ich vieles hinterfrage und immer wieder verbessere.

Um anderen, die vielleicht vor ähnlichen Überlegungen stehen wie ich, eine kleine Hilfestellung zu geben möchte ich hier meine Erfahrungen zusammen tragen um so vielleicht einige Irrungen, Wirrungen und (teure) Fehler vermeiden helfen. Es gibt zwar einige wirklich sehr gute Leitfäden zum Aufbau von Darstellungen in verschiedenen Epochen, doch haben sie oft alle das gleiche Problem: man muss sie erst einmal finden. Einen Teil davon verlinke ich hier in diesem und weiteren Beiträgen.

Genug der Einleitung, legen wir los.

Gleich vorweg: ich möchte niemanden dazu überreden, seine Darstellung anders als bisher zu machen. Wer sich in seiner "Gewandung"- der korrekte Begriff lautet Kostüm- wohl fühlt, lediglich an einigen Wochenenden im Jahr in eine fiktive andere Zeit eintauchen und diese in Gesellschaft Gleichgesinnter abseits des oft stressigen Alltags verbringen möchte, ist trotzdem eingeladen weiter zu lesen. 😉

Ich möchte, wie oben geschrieben, lediglich ein paar Denkanstöße für die geben, die mit ihrer eigenen Darstellung „vom Mittelalter“ nicht ganz zufrieden sind aber nicht wissen wie sie Verbesserungen angehen können.

Grund für dieses „Wie mache ich das?“ sind die in den letzten Tagen und Wochen geführten Gespräche in denen ich recht häufig gefragt wurde warum meine Kostüme so viel anders aussehen als die, die auf den üblichen Mittelaltermärkten zu sehen sind.

Das ist einfach erklärt. Ich habe mittlerweile den Anspruch an mich, meine Darstellungen an das anzulehnen was uns bildlich überliefert oder von Wissenschaftlern erarbeitet wurde. Besser ausgedrückt versuche ich ein dem aktuellen Forschungsstand entsprechendes wahrscheinliches Bild eines Menschen einer eng umfassten Epoche in einer genau definierten Region zu vermitteln.

Fangen wir mit den Grundlagen an.

Eine belegnahe Darstellung aufbauen ist einfacher als viele denken mögen. Es bedeutet zwar viel Recherche, einiges an Arbeit, doch letztendlich wird euch das Ergebnis überzeugen.

Wie legt man eine Darstellung an?

Als erste Überlegung sollte stehen was dargestellt werden soll. Hört sich einfach an, doch damit beginnt die Reise in die Vergangenheit. Denkt bitte daran, dass ihr eure gewählte Darstellung glaubhaft vermitteln können solltet. Euer Auftreten, der optische Eindruck und euer Verhalten sollten passen.

Ebenso wichtig sind Zeitraum und Ort. Konzentriert euch nach Möglichkeit auf einen festen Zeitraum und eine Region. Das erleichtert die Recherche immens. Gerade die Wetterau in der ich lebe ist durch die lange Besiedelung durch verschiedenste Völker geradezu prädestiniert für unterschiedlichste zeitlich weit gespreizte Darstellungen.

Für das Spät- und Hochmittelalter könnt ihr euch teilweise sogar auf genaue Jahre und Orte festlegen. So existierten in vielen Städten noch heute erhaltene Kleiderordnungen. Auf die ihr eventuell zurück greifen könnt.

Ok, das auf jedem Markt zu sehende „Vikings- Reenactment“ ist irgendwie cool, die wilden Nordmänner und ihre im Realen nicht wirklich kriegerischen Frauen sehen teilweise richtig gut aus, es steckt oft sehr viel akribische Arbeit darin, doch ist das so gut wie alles nur die Kopie einer filmischen Fiktion.

Hierzu findet ihr auf dem Blog von Silvia Aisling, DER Koriphäe in Sachen Brettchenweben, einen hervorragenden Leitfaden zum Aufbau einer skandinavischen Darstellung. Ebenso findet sich im Youtube- Kanal von A Papst Productions ein Video mit nach Funden nachgefertigter Kleidung wie ein Wikinger in der Handelsstadt Haithabu im 10. Jhdt tatsächlich aussah. Ein weiteres Video behandelt die rekonstruierte Alltagskleidung einer Frau im im 09./ 10. Jdht. für den gleichen Siedlungsraum.

Klar und deutlich gesagt ist es etwas widersinnig einen "Wikinger" weit abseits des ursprünglichen Siedlungsgebietes darstellen zu wollen. Sie waren zwar sehr Unternehmenslustig, doch so weit kamen sie dann doch nicht herum. 😉 Abgesehen davon macht gerade jeder zweite Marktgänger gefühlt "irgendwas mit Wikinger" (oder was er/sie dafür hält) weil es alle machen. Ist das nicht irgendwie langweilig?

Dann kommt dann als weiterer Punkt das „Wie“ nachdem ich mir eine Darstellung aussuchte. Ich muss mir überlegen was ich glaubhaft darstellen kann.

Damit wären wir beim wichtigsten Punkt. Über welche Fähigkeiten verfüge ich, die ich darstellen möchte und was will man sich tatsächlich leisten? Nur die Kleidung und einige wenige Gegenstände die am Körper getragen werden oder soll es gleich das große Paket sein?

Weniger ist oft mehr.

Für den Anfang empfiehlt sich eine Darstellung bei der man nicht ganz so festgelegt ist. Bauer, Handwerker, Kaufmann/- frau, Magd, Knecht, niederer Kleriker bieten sich dazu an.

Also den Bevölkerungsschichten die 90% der mittelalterlichen Gesellschaft ausmachten.

Ende Teil 1


Begriffsklärung

Frühmittelalter: Mitte 6. Jhdt bis 1050; davor Spätantike/ Völkerwanderungszeit
Hochmittelalter: 1050 bis 1250
Spätmittelalter: 1250 bis 1500

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