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Ein kleiner Leitfaden zu einer belegnahen Darstellung – Teil 2

In Teil 1 schrieb ich etwas über die grundlegenden Überlegungen die dem Aufbau einer belegnahen Darstellung wie unsere Altvorderen ausgesehen haben könnten voran gehen sollten. Mit diesem Beitrag geht es dann schon etwas ins Detail.

Die Ausstattung

Kleidung

Gleich vorweg- verabschiedet euch vom Klischee des düsteren, tristen, schmutzigen Mittelalter das aus Hunger, Not und Elend bestand in dem die Bevölkerung in abgerissener Kleidung durch Schlamm und Fäkalien stapfte. Nö. Ist nicht.

Die auf "Mittelaltermärkten" oder "Wissenschaftsdokus" oft zu sehenden Einheitsfarben aus Weiß, Grau, Braun, Schwarz (was sich ganz schlecht färben lies, dazu vielleicht später in einem weiteren Beitrag) sind ebenfalls ein Klischee.

Das Mittelalter war bunt, nicht braun*. Es gab sehr viele bunte Kleidung in vielfältigen Farben. Letztlich waren und sind alle (!) Farben des Regenbogenspektrums mit Pflanzenfarben möglich.

Schon im frühen Mittelalter lässt sich der Anbau von Krapp als Färbepflanze nachweisen.

Im Capitulare de villis (zwischen 800 und 840 n. Chr.), den Anweisungen zur Verwaltung der karolingischen Krongüter, wird in einer umfangreichen Liste der unterschiedlichsten Pflanzen auch der Anbau von Krapp (varentia) festgelegt. Aus der 43. Anweisung ist zudem zu erfahren, wohin der Krapp zusammen mit anderen Materialien geliefert werden soll.

"Unseren Frauenarbeitshäusern soll man, wie verordnet, zu rechter Zeit Material liefern, also Flachs, Wolle, Waid, Scharlach, Krapp, Wollkämme, Kardendisteln, Seife, Fett, Gefäße und die übrigen kleinen Dinge, die dort benötigt werden.”

Die Liste dieser Lieferungen zeigt unzweifelhaft, für welchen Verwendungszweck der Krapp vorgesehen ist, zumal neben den pflanzlichen Rohstoffen weitere Färbematerialien wie Waid und Scharlach aufgeführt sind, womit eine Verwendung als Färbepflanze eindeutig belegt ist. Eine gleichzeitige Nutzung für medizinische Zwecke kann jedoch ebenso in Frage kommen, dürfte aber im Zusammenhang mit der Anbauanweisung lediglich eine Nebenrolle gespielt haben.

Als weiterer Nachweis blieb von Kaiser Friedrich I. (HRR) (1122-1190) eine Anordnung erhalten, in der festgelegt wurde welche Pflanzen um seine vielfältigen Pfalzen herum angebaut werden mussten. Darunter auch die zum Färben von Stoffen genutzten Waid (Blau) und Krapp (Rot).

Kommen wir zum Aufbau der Kleidung.

In der relativ langen Zeit des Früh- und Hochmittelalters ist die Kleidung für Frau und Mann fast identisch. Einfache gerade, aus Rechtecken und Keilen gefertigte Tunika/ Cotte, Umhang und Mantel. Gesellschaftliche Unterschiede waren nur durch die Qualität und Art der verwendeten Stoffe sowie modische Accessoires ersichtlich.

Frühmittelalter

Die Liste nennt eine Ausstattung die sich mit kleinen Abwandlungen für bäuerliche Darstellungen (die ungefähr 90% der Bevölkerung ausmachten) im Zeitraum von ca. 800 bis 1250 nutzen lässt.

Mann:

  • Untertunika aus ungefärbtem leichten Leinen, Länge bis etwa Mitte Oberschenkel
  • gerade geschnittene, an den Waden eng anliegende Hosen aus Wolle ODER ungefärbtem Leinen, letztere für fränkische Darstellungen in der Karolingerzeit überliefert
  • Wadenwickel aus Wolle oder schmale Lederriemen bzw. einfarbige Stoffborten um die Unterschenkel
  • wendegenähte Lederschuhe, für nordische Darstellung mit hoch gezogener Ferse, ansonsten gerade Sohle oder Bundschuhe.
  • Übertunika aus (pflanzen)gefärbter Wolle (Sommer/ Winter unterschiedlich dick) ebenfalls bis Mitte Oberschenkel, doch etwas länger als die Untertunika
  • schmaler Ledergürtel mit D- förmiger Eisenschnalle, Länge des Riemens maximal 20 cm länger als heute üblich, KEIN Schlaufenknoten, Gürtelende unterstecken
  • Rechteckmantel, wurde auf der rechten Schulter mit Spange, Nadel oder Fibel geschlossen. Nadeln weiter verbreitet als Fibeln.
    (Vorsicht: Spangen und Fibeln unterlagen sehr stark der Mode und regionalen Unterschieden)
  • Kopfbedeckung regional und zeitlich unterschiedlich. Die Spanne reicht von einfachen gefilzten Kappen aus Wolle über genähte Exemplare ebenfalls aus Wolle über einfache Gugel ohne Zipfel hin zu geflochtenen Hüten aus Pflanzenmaterial.
    (Vorsicht: die bei Frühmittelalterdarstellern beliebte Skjoldehamn- Gugel passt zeitlich nur für eine norwegische Darstellung Ende 10., Anfang 11. Jhdt! Ebenso gibt es für diese Zeit keine Nachweise nadelgebundener Mützen.)

Frau:

  • Grundausstattung wie beim Mann, jedoch die Tuniken knöchellang
  • keine Hosen
  • nadelgebundene Socken/ mit Bindegarnitur/ Riemen befestigte genähte Strümpfe aus Wolle
  • Kopftuch aus Leinen oder Wolle

Das war es eigentlich schon mit dem Grundstock für eine einfache Darstellung. Die Liste liest sich auf den ersten Blick recht umfangreich, ist jedoch vergleichsweise kurzer Zeit angefertigt oder beschafft.

Für ein stimmiges Bild ist die Auswahl der Stoffe und Farben maßgeblich. Ich schrieb zwar, dass das Mittelalter bunt war, doch sollten sich hier tatsächlich auf die Regenbogenfarben und deren Nuancen verlegt werden. Nur mit moderner Chemie erzielbare knallige Farben sollten vermieden werden.

Die Stoffe bestanden aus Wolle oder Leinen und wurden in den folgenden Webarten hergestellt: Leinwand (Tuchbindung) 1/1, Köper 2/1, 2/2, Ripsbindung. Fischgrat und Diamantköper waren auf das Frühmittelalter beschränkt.

Wie ich bereite anmerkte, unterscheiden sich die Schnitte der Kleidung in frühem und hohen Mittelalter nicht sonderlich. Wer Ausflüge zwischen den Zeiten unternehmen möchte sollte sich auf Leinwand- und Köperbindung verlegen.

Ich persönlich bevorzuge für Unterkleidung einen leichten Leinenstoff, für die Überkleidung Sommer Wolle Leinwandbindung bis ca. 180- 220 g/lfm, Winter ab 350 g/lfm, Mäntel ab 600 g/lfm. Wenn der Stoff weicher fallen soll 2/1 oder 2/2 Köper. Leinwandbindung ist recht steif.

Fehlerquellen

Kommen wir zu den Fallstricken die nur zu oft mit sehr viel Akribie angefertigte Kleidung für eine belegnahe Darstellung entwerten.

Gerade an vielen "wikingischen" Darstellungen können auf der Kleidung oft sehr aufwändige Stickereien bewundert werden. Mit viel Liebe und Mühe angefertigt, wunderbar anzusehen, doch hat es Stickereien auf der Kleidung so nicht gegeben. Im gesamten skandinavischen Siedlungsraum wurden lediglich DREI auf das 10. Jhdt datierte Stickereien gefunden. Hierzu mehr Hintergrundinfos auf dem Blog von Silvia Aisling.

Ein weiterer häufig zu sehender Fehler sind die etwas spöttisch als "Orknähte" bezeichneten bewusst grob, oft in kontrastierenden Farben, ausgeführten (Zier)nähte die eine Handnaht vortäuschen sollen. Feine (!) Ziernähte gab es, alles andere nicht.

Hierzu und generell zur Recherche über mittelalterliche Kleidung empfehle ich das Quasi- Standardwerk des ambitionierten Mittelalterdarstellers. Kleidung des Mittelalters: Materialien - Konstruktion - Nähtechnik von Dr. Katrin Kania.

Was gar nicht geht sind Kunstfasern und Baumwolle. Letztere gab es zwar ab 1137 in Europa, doch für unsere Breitengrade ist sie erst ab dem Spätmittelalter nachgewiesen. Lasst die Finger davon. Man sieht es.

Ebenfalls ein No-Go sind Brettchenborten. Nicht die Borten an sich, die gab es oft angewebt als Abschluss von Säumen, doch waren die meist nur 0,8 bis 1,5 cm breit. Breitere Borten gab es als Gürtel. Die sehr oft gesichteten modernen "4 vor, 4 zurück" Muster passen sowohl zeitlich als auch von der Region einfach nicht.

Und lasst die Finger von Trinkhörnern am Gürtel, Schulterfellen und Lederkleidung. Gab es nicht. Niemals, zu keiner Zeit.


*Zum Abschluß dieses Teils etwas zum Satz "Das Mittelalter war bunt, nicht braun". Das meine ich durchaus wörtlich. Gerade unter Mittelaltermarktgängern, die vorgeben "Wikinger" darzustellen, sind überproportional häufig Menschen vertreten die ich ohne falsche Bescheidenheit als offen Rechtsradikal bezeiche. Das in diesen Kreisen nur zu oft gehörte Geschwafel von Männlichkeit, Ehre, Stärke, Ahnen und Götterkult ist und bleibt Schwachsinn. Es ist das gleiche Gesülze wie vor fast 90 Jahren als ein Staat, besser die diesen Staat beherrschende Partei die Vergangenheit als Legitimation für ihre kranke Ideologie heranzog.

Lasst es. Bleibt weg. Lebt euren Wahn anderswo aus.

Ende Teil 2

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